Interview mit Eric Thill im Lëtzebuerger Journal

Plötzlich Minister

Interview: Lëtzebuerger Journal (Pascal Steinwachs, Misch Pautsch)

Lëtzebuerger Journal: Irgendwie erinnert uns Ihr Werdegang an die Filmschmonzette "Plötzlich Prinzessin". So wie Anne Hathaway auf einmal blaues Blut hatte, waren Sie plötzlich Minister. So sollen Sie in der Jogginghose auf dem Sofa gesessen haben, als Sie wenige Tage vor der Regierungszusammenstellung der Anruf von Xavier Bettel erreichte, bei dem er Sie fragte, ob Sie Lust hätten, Minister zu werden. Keiner hatte Sie zuvor auf dem Radar, zumal Sie im Nordbezirk nur auf Platz vier Ihrer Partei landeten, demnach nicht gewählt wurden, und auch nicht bei den Koalitionsverhandlungen auf Schloss Senningen dabei waren. Was wir eigentlich fragen wollen: Was qualifiziert Sie überhaupt für diesen Job?

Eric Thill: (lacht) Ich saß tatsächlich in der Jogginghose auf der Couch und war gerade dabei, E-Mails in meiner Funktion als Bürgermeister von Schieren zu beantworten, als Xavier Bettel anrief, um mich zu fragen, ob ich mir vorstellen könnte, Verantwortung in der nächsten Regierung zu übernehmen. Für mich war sehr schnell klar, dass ich das machen will und ich fühlte mich auch wirklich geehrt. Mir war klar, dass mir das als damals noch 29-Jähriger auch die Möglichkeit bieten würde, ebenfalls die Interessen der jungen Leute in einer neuen Regierung zu vertreten. Zumal ich mich zuvor immer schon dafür eingesetzt hatte, dass die Politik repräsentativer werden soll: mehr Frauen, mehr junge Leute…

Lëtzebuerger Journal: …was natürlich lobenswert ist…

Eric Thill: Ich war 2017 bei den Gemeindewahlen in Schieren dabei und wurde Erstgewählter. Ich wurde Erster Schöffe, zwei Jahre dann Bürgermeister. Bei den letztjährigen Kommunalwahlen bin ich wiederum sehr gut gewählt worden, sodass ich auch mit in die Legislativwahlen ging, bei denen ich im Nordbezirk hinter den drei Mandatsträgern, darunter ein Parlamentspräsident, ein Minister und ein Abgeordneter, als Viertgewählter abschnitt. Als Minister kann ich in der Regierung mit meinen zwei sehr interessanten Ressorts Verantwortung übernehmen und den Vertrauensvorschuss mit konkreten Taten zurückzahlen.

Lëtzebuerger Journal: Das Ganze sieht trotzdem so aus, als hätten sich die Verhandlungsführer in den Koalitionsverhandlungen erst in letzter Minute daran erinnert, dass es auch noch so etwas wie ein Kulturressort gibt, das es zu besetzen gilt. Und dann musste die DP ja noch einen Vertreter aus dem Norden in der Regierung unterbringen. Das macht deutlich, welchen Stellenwert die CSV/DP-Regierung der Kultur beimisst, nämlich keinen sehr großen.

Eric Thill: Das Gegenteil ist der Fall. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich verschiedene Optionen hatte, was ich als Minister hätte machen können. Für mich war schnell klar, dass ich die Kultur übernehmen wollte. Und dies zusammen mit dem Tourismus, weil sich hier Synergien ergeben, die ich verstärken will, weil ich glaube, dass Kultur und Tourismus eng verbunden sind. Das sind zwei Ministerien, wo man nah bei den Menschen ist, wo man den Kontakt mit den Leuten sucht und eine Politik des Miteinander anstrebt. Kultur stand bei mir nicht an letzter Stelle, ganz im Gegenteil.

Lëtzebuerger Journal: Dann müsste sich der Stellenwert der Kultur ja auch im Haushalt niederschlagen…

Eric Thill: Als Minister ist es mir wichtig, die Kultur weiter zu stärken, was uns im Budget 2024 bereits gelungen ist. Das Kulturbudget macht 0,95 Prozent des Gesamthaushalts aus, wir nähern uns also der symbolischen Ein-Prozent-Marke an. Im Vergleich zum 2023er Haushalt liegt das diesjährige Budget um 15,36 Prozent höher, wenn wir den Film Fund und das Zenter fir Lëtzebuerger Sprooch ausklammern, die ja inzwischen auch unter die Verantwortung des Kulturministeriums fallen. Das unterstreicht den hohen Stellenwert, den die Regierung der Kultur beimisst.

Lëtzebuerger Journal: Vor Ihrer Ernennung waren Sie nicht gerade als Kulturgänger bekannt, oder täuschen wir uns? Ihre Interessen lagen eher beim Fußball, Tennis, Joggen und Fahrradfahren, wie wir irgendwo gelesen haben.

Eric Thill: Es ist natürlich richtig, dass ich in meiner Jugend sportlich sehr aktiv war, wobei ich auch jetzt noch versuche, viel Sport zu treiben. Ich habe mich aber auch immer schon für Kultur interessiert. Ich komme aus einer musikalischen Familie, hatte aber im Vergleich zu meinen Schwestern und meinem Vater nicht das nötige musikalische Talent. Das Trompetenspielen habe ich dann auch schnell sein lassen. Ich war oft auf Konzerten. In der Rockhal zum Beispiel, aber auch in der Philharmonie. Ich war auf Vernissagen. Auch war ich bei uns im Norden kulturell unterwegs und habe auf Gemeindeebene so einiges in kultureller Hinsicht bewegt. Ich denke da zum Beispiel an die Römervilla.

Mein Alltag ist seit meinem Regierungseintritt noch mehr von Kultur geprägt. Jetzt bin ich froh, den Kultursektor in seiner ganzen Diversität und Bandbreite kennenzulernen. Ich bin beeindruckt, mit wie viel Leidenschaft die Kulturschaffenden sich einsetzen.

Lëtzebuerger Journal: Können Sie uns konkrete Beispiele geben, auf welchen Konzerten Sie waren?

Eric Thill: Ich bin ein Kulturminister, der auch EDM-Musik hört, also Electronic Dance Music, und wenn ich sage, dass ich in der Rockhal auf einem Konzert von Scooter war, dann werden die meisten Leute wahrscheinlich lachen…

Lëtzebuerger Journal: Die einheimische Kulturszene sparte nach Bekanntgabe Ihres Namens nicht mit Kritik und wies immer wieder auf die Errungenschaften der bisherigen Ressortministerin Sam Tanson hin, die äußerst beliebt war und im Gegensatz zu Ihnen auch schon vor ihrer Regierungszeit als regelmäßige Besucherin von Kulturveranstaltungen bekannt war. Was macht das mit einem, wenn man die ziemlich großen Fußstapfen seiner Vorgängerin ausfüllen soll?

Eric Thill: Ich verstehe, dass es in Bezug auf einen jungen Minister Bedenken geben kann, aber ich meine gleichzeitig, dass man jedem Menschen eine Chance geben soll. Das habe ich als seinerzeit 25-jähriger Bürgermeister gesagt, und das sage ich ebenfalls als junger Minister. Das Alter wie auch das Profil müssen nichts über die Kompetenz, das Engagement, die Energie und die Motivation eines Menschen aussagen. Ich bin jetzt dabei, mich einzuarbeiten und bin "um Terrain" aktiv, um herauszufinden, was gut und was weniger gut läuft, um zu sehen, wo der Schuh drückt. Ich mache mir ein eigenes Bild, um so meine Prioritäten zu definieren. Das habe ich in den vergangenen Monaten getan, und das mache ich auch weiter.

Noch einmal: Ich nehme die Kritik zur Kenntnis und werde alles dafür tun, anhand meiner Bilanz bewertet zu werden. Dass ich erst 30 Jahre bin und was ich studiert habe, das spielt hier keine Rolle. Ich möchte neue Ideen reinbringen und neue Impulse geben.

Lëtzebuerger Journal: Sie erscheinen uns sehr fleißig und pendeln unermüdlich durchs Land: von Veranstaltung zu Veranstaltung, von Kulturhaus zu Kulturhaus, von Verein zu Verein, um sich überall persönlich ein Bild zu machen. Konnten Sie die Kulturschaffenden inzwischen von sich überzeugen?

Eric Thill: Ich wiederhole mich vielleicht, aber mir war vom ersten Tag an wichtig, "um Terrain" aktiv zu sein, um mir selbst eine Meinung zu bilden. Um den Leuten zu zeigen, dass ich interessiert bin, zuhören kann und nicht von oben herab arbeite. Nah bei den Menschen zu sein, das ist mir extrem wichtig. Ich glaube, dass ich bereits viele Kulturschaffende inzwischen gesehen habe, und ich glaube auch, dass der Meinungsaustausch bis jetzt gut gelaufen ist. Ich habe auch jedem gesagt, dass meine Tür als Minister immer offensteht. Auch habe ich hier im Kulturministerium und im Tourismus sehr engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wie die Leute den neuen Minister jetzt als Person einschätzen, das kann ich nicht sagen. Das müssen sie schon die Betroffenen selbst fragen.

Lëtzebuerger Journal: Sie haben gesagt, dass Kultur und Tourismus gut zusammenpassen. Schwebt Ihnen diesbezüglich schon was vor?

Eric Thill: Tourismus und Kultur liegen für mich nah aneinander. So steht die diesjährige Ausgabe der Promotionskampagne "Lëtzebuerg, dat ass Vakanz!" zum Beispiel im Zeichen des Kulturtourismus. So wollen wir keinen Massen-, sondern Qualitätstourismus. Der Kulturtourismus soll hier neben dem Aktivtourismus und dem Businesstourismus gestärkt werden. Vor zwei Wochen war ich zum Beispiel in Obermartelingen im Schiefermuseum, wo es ein beeindruckendes Industrieerbe zu besichtigen gibt. Es gibt hier einen Rundgang in bis zu 42 Meter Tiefe unter der Erde. Aktiv- und Kulturtourismus lassen sich hier gut miteinander verbinden, was auch für andere Standorte hierzulande gilt. Es ist natürlich von Vorteil, wenn man Verantwortung im Kultur- und Tourismusbereich trägt, was die Arbeit erleichtert…

In den vergangenen Wochen musste ich jedoch feststellen, dass es oftmals an den nötigen Räumlichkeiten fehlt, an denen die Kulturschaffenden ihrer kreativen Arbeit nachgehen können. Hier haben wir im Moment noch infrastrukturelle Probleme. Als positives Beispiel nenne ich hier den Creative Hub in Differdingen, für den ich die damaligen Gemeindeverantwortlichen nur loben kann. Wir brauchen mehr solcher Orte auch für die Kultur, und dies dezentral im ganzen Land. Wir sind dabei, entsprechende Projekte zu analysieren.

Lëtzebuerger Journal: Hoffentlich werden das dann nicht wieder ultrasterile Örtlichkeiten, bei denen schon die Toiletten mehr kosten als im Ausland ganze Kulturzentren. Es muss ja nicht immer der letzte Luxus sein…

Eric Thill: Richtig. Man kann das Ausland aber nicht mit Luxemburg vergleichen, haben wir hier doch andere Gesetze und Bestimmungen, an die wir uns halten müssen. Es gibt aber Beispiele wie die Banannefabrik in Bonneweg, die deutlich machen, dass man auch mit geringeren Mitteln viel machen kann.

Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zu den kulturellen Prioritäten dieser Regierung. So soll der Kulturentwicklungsplan (KEP) laut Koalitionsabkommen fortlaufend evaluiert und eine Art KEP 2.0 ausgearbeitet werden. Was heißt das und können Sie uns kurz erklären, was es mit diesem Kulturentwicklungsplan überhaupt auf sich hat?

Eric Thill: Ich sehe den Kulturentwicklungsplan als Vision, wie man sich den Kultursektor über den Zeitraum von zehn Jahren vorstellt. Hierzu machten wir zuerst eine Bestandsaufnahme, um anschließend zusammen mit den Kulturschaffenden zu schauen, welche Ideen man umsetzen kann. Der Kulturentwicklungsplan läuft 2028 aus. Bis dahin soll der KEP 2.0 stehen, wobei die entsprechenden Arbeiten bereits im kommenden Herbst aufgenommen werden sollen. Man muss dem Kultursektor aufzeigen, in welche Richtung wir ab 2028 für die nächsten zehn Jahre hinwollen.

Lëtzebuerger Journal: Sie wollen die Kultur zugänglicher machen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Wie wollen Sie das erreichen?

Eric Thill: Der Zugang zur Kultur liegt mir sehr am Herzen. Es geht darum, die gute Arbeit, die hier in den letzten Jahren gemacht wurde, noch weiter auszubauen.

Lëtzebuerger Journal: Uns fallen an dieser Stelle spontan die Philharmonie, das Mudam, das Casino und die Escher Konschthal ein, die mit ihren Ateliers für Kinder schon jetzt viel dafür tun, den Leuten die Schwellenangst vor der Hochkultur zu nehmen.

Eric Thill: Genau. Wir müssen aber auch unsere regionalen Kulturhäuser stärken und ihnen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Wir sind gerade dabei, einen neuen Finanzierungsschlüssel für unsere Kulturhäuser und die Kulturkonventionen zu erstellen.

Lëtzebuerger Journal: Sie wollen doch nicht etwa Ihrer Parteikollegin und früheren Kulturministerin Maggy Nagel nacheifern, die seinerzeit (2015) mit ihren Konventionsneuverhandlungen für viel Aufregung in der einheimischen Kulturszene sorgte?

Eric Thill: Nein. Es geht darum, dass die aktuelle Situation, die bereits gut ist, noch verbessert werden soll. Es werden keine Konventionen gekürzt, und kein Kulturhaus bekommt weniger Geld. Die Kulturhäuser bekommen eher mehr. Wenn ich aber beispielsweise den Cube 521 in Marnach mit dem Trifolion in Echternach vergleichen will, dann will ich auch Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen vergleichen.

Kommen wir zu Ihrer Frage der Zugänglichkeit zurück. Hier darf es keine sozialen oder demografischen Barrieren geben. Kultur darf nicht von der Schulbildung oder dem Einkommen abhängen. Es gibt bereits den Kulturpass, der es Menschen mit geringerem Einkommen ermöglicht, sich am kulturellen Leben zu beteiligen.

Auch haben wir aktuell eine interne Arbeitsgruppe aufgestellt, die ausloten soll, wie man die Kinder schon in der Schule auf eine spielerische und moderne Art und Weise stärker für die Kultur sensibilisieren kann. Im Rahmen des Projekts Kulturama kommen die Künstler seit einigen Jahren in die Schulen, um den Kindern dort die Kultur näherzubringen.

Der Zugang zur Kultur und eine stärkere Förderung der Kultur für die Kinder und Jugendlichen sind ganz klar meine Hauptprioritäten. Kultur darf nicht einer Elite vorbehalten werden.

Lëtzebuerger Journal: Wo wir schon dabei sind: Gibt es noch andere Prioritäten?

Eric Thill: Da wären beispielsweise das Archivgesetz, das Bibliotheksgesetz und das Denkmalschutzgesetz, die wir einer Überprüfung unterziehen wollen.

Lëtzebuerger Journal: Wenn wir jetzt behaupten, dass es sich als Kulturfreak am besten in der Stadt, und am zweitbesten in Esch leben lässt, dann sagen Sie als Nordpolitiker bestimmt etwas anderes…

Eric Thill: Es ist kein Geheimnis, dass der Großteil des Kulturbudgets in Sachen Infrastrukturen und kulturelles Angebot für die Hauptstadt aufgewendet wird, gefolgt vom Süden. Ich bin aber der Meinung, dass es noch viele andere Plätze im Land gibt, wo man interessante kulturelle Aktivitäten organisieren kann, sodass ich die Dezentralisierung des Kulturangebots vorantreiben will.

Lëtzebuerger Journal: Sie waren ja auch schon mal der jüngste Bürgermeister Luxemburgs. Vermissen Sie nicht manchmal Ihre Arbeit als Bürgermeister von Schieren? Als Bürgermeister mussten Sie nicht jeden Tag durchs halbe Land gondeln, sondern konnten auch mal in der bereits erwähnten Jogginghose auf dem Sofa lümmeln.

Eric Thill: Ich mache meinen Ministerjob mit voller Überzeugung, ansonsten ich dieses Amt nicht angenommen hätte. Meine Entscheidung hat mir noch keine Sekunde leidgetan. Wenn ich etwas mache, dann engagiere ich mich zu 110 Prozent, und das ist hier der Fall. Das werden dann manchmal sehr lange Tage.

Lëtzebuerger Journal: Das wäre meine nächste Frage gewesen, wie denn so ein typischer Tag im Leben des Ministers Eric Thill aussieht. Kommen wir also direkt zu unserer letzten Frage: Haben Sie so was wie eine kulturelle Lieblingssparte? Musik? Theater? Bildende Kunst? Literatur? Kino?

Eric Thill: Ich begrüße, dass der Film Fund und auch das Zenter fir Lëtzebuerger Sprooch jetzt dem Kulturministerium unterstehen. Beide sind sehr spannende Themenbereiche. Ich habe aber jetzt keine richtige Lieblingssparte. Ich stehe jeden Tag vor neuen Herausforderungen, und das macht das Ganze so interessant. In den nächsten fünf Jahren wird mir bestimmt nicht langweilig werden.

Lëtzebuerger Journal: Eine allerletzte Frage: Wie entspannen Sie nach einem langen Arbeitstag? Haben Sie beispielsweise so was wie eine Lieblingsmusik, die Sie immer wieder hören, oder einen Lieblingsfilm, den Sie sich immer wieder anschauen?

Eric Thill: Wenn ich abends zu Hause bin, dann versuche ich, mich sportlich zu betätigen, da ich morgens oftmals sehr früh im Ministerium bin, um vor dem Eintreffen meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Ruhe arbeiten zu können. Wenn ich Musik höre, dann lege ich besonders gerne Francesco Tristano auf, den Luxemburger Pianisten und Produzenten, der in der ganzen Welt unterwegs ist, und den ich vor kurzem noch in Barcelona getroffen habe. Und ich hoffe, die anderen einheimischen Musiker sind mir jetzt nicht böse…

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